Audits

Das Turtle Diagramm

So bringen Sie Prozessmanagement und –analyse auf eine A4-Seite

6 Minuten09.06.2022

Wäre es nicht fantastisch, jeden noch so komplex wirkenden unternehmensinternen Prozess auf nur einer A4-Seite abbilden zu können? Verantwortliche für Risikomanagement, Qualitäts-, Umwelt- oder andere Managementsysteme sowie grundsätzlich alle Mitarbeitenden könnten wichtige Prozessparameter und deren Zusammenspiel erkennen und sowohl die Zusammenarbeit als auch die Qualität des Outputs optimieren. Könnten? Sie können! Denn es gibt das Turtle Diagramm.

Turtle Diagramm: Kurz und knapp

Das Turtle Diagramm, auch als Turtle Methode oder Prozess-Turtle bekannt, ist ein Instrument zur grafischen Darstellung von Ergebnissen der Prozessanalyse und –definition. Dabei wird jedes Prozessmerkmal einzeln aufgeführt, sodass Zusammenhänge zwischen den Prozessparametern sichtbar werden. Obwohl das Turtle-Diagramm auf nur einer A4-Seite Platz findet, ermöglicht es durch die klare Übersicht eine aufschlussreiche und ausführliche Prozessdarstellung inklusive Schnittstellen und Abhängigkeiten zwischen den Prozessparametern. Das Turtle Diagramm bildet somit die Grundlage für langfristiges Prozessmanagement und systematisches Risikomanagement.

Die drei wesentlichen Einsatzbereiche des Turtle Diagramms sind:

  • Darlegung von Prozessen
  • Analyse von Prozessen
  • Risikoanalyse

Aufbau und Inhalt des Turtle Diagramms

Das Turtle Diagramm ist, wie der Name schon sagt, dem Körper einer Schildkröte nachempfunden. Der Kopf des Reptils steht dabei für den Input, der Schwanz für den aus den Prozessen resultierenden Output und die Gliedmaßen für die Einflussfaktoren auf Prozesse. Mit dieser vereinfachten Prozessanalyse können schnell und einfach alle relevanten Parameter der Prozesse eines Unternehmens erfasst werden.

Anders als komplexe Prozesslandschaften, die das Big Picture des Unternehmens nach Management-, Kern- und unterstützenden Prozessen abbilden, dienen Prozess-Turtles der strukturierten Analyse, Beschreibung und Bewertung von konkreten Prozessen. Sie sind dadurch für den  Mitarbeitenden auf einen Blick gut verständlich. Prozess-Turtles eignen sich nicht nur für die Definition, Analyse, Gestaltung und Verbesserung der einzelnen Prozesse, sondern zeigen auch Zusammenhänge und Wechselwirkungen auf. Sie sind dadurch bewährte Hilfsmittel zur Steigerung des Prozessbewusstseins (z. B. zur Verbesserung des Qualitätsbewusstseins) oder als Orientierung bei Personalgesprächen.

Nutzung des Turtle Diagramms am Prozessbeispiel "Wartung & Instandhaltung"

Um eine Prozessanalyse mit dem Turtle Diagramm zu beginnen, legen Sie zunächst den zu analysierenden Prozess sowie dessen Ziel fest und benennen alle relevanten Ressourcen detailliert. Dazu gehören Prozessverantwortliche, der benötigte Input sowie zur Realisierung erforderliche Betriebsmittel und immaterielle Ressourcen wie Mitarbeitende und deren Fähigkeiten. Ebenso fließen Indikatoren zur Auswertung, Informationen zu Vorgaben und Standards sowie Risiken, welche den Erfolg des Outputs beeinträchtigen können, aber auch Chancen mit ein. In der Praxis empfiehlt es sich, das Turtle Diagramm in einer 3x3 Tabelle zu skizzieren. Für den Beispielprozess "Wartung & Instandhaltung" könnten Sie diese Tabelle wie folgt stichpunktartig befüllen:

Arbeitsmittel:

EDV, Werkzeug

Verantwortliche:

Leitung Technik & Instandhaltung

Beteiligte:

Mitarbeitende der Abteilungen Wartung & Instandhaltung, Produktion und Einkauf

Input:

Störungsmeldungen, Informationen der Mitarbeitenden

Prozessziel:

Regelmäßige Überprüfung der Maschinen und Anlagen, Reparatur und präventive Erneuerung von Maschinenteilen

Output:

Funktionierende und sichere Betriebsmittel

Indikatoren:

Ausfallzeiten, Maschinenstillstand

Risiken/Chancen:

Sichere Prozesse, weniger Ausfallzeiten und Arbeitsunfälle

Information:

Wartungsplan, Bedienungsanleitungen, Verfahrens- und Arbeitsanweisungen

Anschließend ist die grafische Umsetzung möglich:

Vor- und Nachteile des Turtle Diagramms

Vorteile

Nachteile

  • vereinfachte Darstellung eines unternehmerischen Prozesses

  • erzeugt hohe Transparenz über Prozessparameter

  • Abhängigkeiten und Schnittstellen werden aufzeigt

  • Mitarbeitende können über systematische Betrachtung der Teilprozesse wichtige Einblicke gewinnen

  • sehr gut für Audits geeignet

  • pro Turtle Diagramm nur ein einzelner Prozess

  • zur Analyse zusammenhängender Prozesskette ist ein erhöhter Arbeitsaufwand nötwendig

  • die einzelnen Turtles müssen miteinander in Beziehung gebracht werden

  • stichwortartige Visualisierung ermöglicht keine detaillierte Beschreibung, die für differenzierte Prozessoptimierung verschiedener Teilbereiche nützlich wäre

Qualitätsmanagement: Turtle Diagramm im Rahmen von ISO 9001 und ISO/TS 16949

Bei der Umsetzung eines betrieblichen Qualitätsmanagements spielt die Effizienzsteigerung von Prozessen eine besondere Rolle. Warum?Weil Prozessorientierung die Ausrichtung der Prozesse an der Erfüllung von Anforderungen ist und Qualität immer dann gewährleistet wird, wenn eine Organisation durch ihren Output die von den Kunden definierten Anforderungen erfüllt. Das Turtle Diagramm zeigt auf, welche Faktoren den Output beeinflussen.

Die internationale Norm für Qualitätsmanagementsysteme ISO 9001 fordert entsprechend einen prozessorientierten Ansatz. Gemeint ist damit die systematische Festlegung und Steuerung von den Prozessen und deren Wechselwirkungen, die erforderlich sind, um das gewünschte Ergebnis zu erzeugen. Dies ist bei einem Qualitätsmanagementsystem nach ISO 9001 Qualität im Sinne der Erfüllung von Kundenanforderungen.

In Kapitel 4.4. der Norm „QMS und seine Prozesse“ wird gefordert, dass Sie die für das QMS erforderlichen Management, Kern- und unterstützende Prozesse sowie deren Prozessparameter festlegen. Zu diesen Parametern gehören folgende Punkte, die Ihnen aus dem Turtle Diagramm bekannt vorkommen werden:

  • erforderliche Eingaben und erwarteter Ergebnisse der Prozesse

  • Abfolge und Wechselwirkungen der Prozesse

  • Kriterien und Verfahren für wirksames Durchführen und Steuern der Prozesse

  • Ressourcen und deren Verfügbarkeit

  • Verantwortlichkeiten und Befugnisse

  • Risiken und Chancen

Die Prozessparameter sind zu bestimmen, anzuwenden, zu bewerten und zu verbessern. Dadurch können Prozesse beurteilt, Änderungen umgesetzt und Optimierungen der Prozesse vorangetrieben werden.

Eine ähnliche Rolle spielt die Prozessorientierung bei der Qualitätsmanagement Norm ISO/TS 16949 für die europäische und nordamerikanische Automobilindustrie. Beide Standards verlangen zur Umsetzung der Prozessorientierung nicht explizit die Erstellung eines Turtle Diagramms. Wie Unternehmen eine normkonforme Prozessanalyse vornehmen und beim Audit nachweisen, ist ihnen überlassen. Die Turtle Methode ist lediglich ein sehr gut geeignetes und in der Praxis etabliertes Instrument.

Energie-, Umwelt- und Arbeitsschutzmanagement: Das Turtle Diagramm im Rahmen weiterer Managementsysteme

Auch im Rahmen weiterer Managementsysteme wird das Turtle Diagramm genutzt, denn sowohl ISO 14001, ISO 50001 als auch ISO 45001 verfolgen einen prozessorientierten Ansatz mit dem Ziel erforderliche Prozesse zu definieren, zu planen und zu steuern, um das gewünschte Ergebnis zu erzeugen. Bei einem Umweltmanagementsystem nach ISO 14001 ist das gewünschte Ergebnis die Verbesserung der Umweltleistung, bei einem Energiemanagement nach ISO 5001 die Verbesserung der Energieeffizienz und bei einem Arbeits- und Gesundheitsschutzmanagementsystem nach ISO 45001 die Verbesserung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes der Mitarbeitenden.

Zunächst werden alle wesentlichen Prozesse im Unternehmen definiert und in einer Prozesslandkarte zusammengefasst. Der Betrieb des Umwelt-, Energie- oder Arbeitsschutzmanagementsystems wird über die Management- und Unterstützungsprozesse eines Unternehmens geregelt. Für alle Prozesse, die sich auf die Umwelt-, energiebezogene oder Arbeits- und Gesundheitsschutzleistung auswirken, sind Kriterien für deren Betrieb festzulegen. Für die Prozessdefinition und -analyse ist das Turtle Diagramm besonders geeignet. Die Ergebnisse werden in einer Verfahrensanweisung dokumentiert und den Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt.

Fazit

Das Turtle Diagramm ist ein effizientes Instrument zur Darlegung eines Prozesses sowie zur Durchführung von Risiko- und Prozessanalysen. Durch die stichwortartige Darstellung aller für einen Prozess benötigten Parameter und deren Zusammenhänge entstehen Übersicht und Transparenz für alle Prozessbeteiligten. Somit eignet sich das Turtle Diagramm als Grundlage besserer Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen und kann bei Prozessmanagement, Kosteneinsparung und Prozessoptimierung unterstützen. Im Qualitätsmanagement sowie in weiteren Managementsystemen wird von internationalen Normen ein prozessorientierter Ansatz gefordert. Das Turtle Diagramm ist bei der Umsetzung und für die Auditierung bei der Nachweisführung ein gut geeignetes Hilfsmittel.

  • Kopf

    Hier wird festgehalten, welcher Input zur Erstellung des Ergebnisses nötig ist. Dieser ergibt sich aus den Anforderungen des Kunden oder einer anderen interessierten Partei.

  • Rechte Vorderflosse

    Sie beschreibt, welche Ressourcen, z. B. gegliedert nach Ressourcengruppen, verwendet werden. Dazu gehören Materialressourcen, Infrastruktur wie Ausrüstungen, Maschinen und Werkzeuge, aber auch die Arbeitsumgebung.

  • Linke Vorderflosse

    In dieser wird aufgelistet, welche Ziele mit dem Prozess verfolgt und mit welchen Kennzahlen und Leistungsindikatoren diese gemessen werden.

  • Bauch der Schildkröte

    Hier ist Platz für die Benennung des untersuchten Prozesses selbst. Wichtige Prozessschritte können hier, müssen aber nicht, visualisiert werden. Vom Bauch aus können Abzweigungen für die Benennung des Prozessverantwortlichen sowie für die Analyse der Prozess-Risiken und -Chancen vorgenommen werden.

  • Rechte Hinterflosse

    Sie fragt nach dem „Wer?“ – also den Verantwortlichen und welche Fähigkeiten, Kompetenzen und Schulungen nötig sind, um den Prozess erfolgreich durchzuführen.

  • Linke Hinterflosse:

    In dieser wird festgehalten, nach welchen Methoden, Anweisungen und Verfahren gearbeitet wird.

  • Schwanz der Schildkröte

    Dies ist der Ort, an dem der Output, das Ergebnis, Produkt oder die bereitgestellte Information genannt wird.

X