Arbeitsschutz

Suva-Checklisten zur Gefährdungsermittlung

Das sollten Sie über die (digitale) Anwendung der professionellen Fragenkataloge in KMU und grossen Betrieben wissen

8 Minuten01.11.2021

von Guido Rast

Seit dem 1. Januar 2000 müssen Unternehmen die EKAS Richtlinie 6508 über den Beizug von Arbeitsärzten und anderen Spezialisten der Arbeitssicherheit (ASA) umsetzen. Diese Richtlinie basiert auf dem Unfallversicherungsgesetz (UVG) und der Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV). Damit auch KMU, die keine ASA beiziehen oder beschäftigen können, rechts- und arbeitssicher agieren können, entstanden die Checklisten der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva). Heute hat sich der Einsatz dieser Checklisten längst auf grosse Betriebe ausgeweitet und ist sogar auf digitalem Weg, z. B. über HSEQ-Software, möglich. In folgendem Artikel erfahren Sie alles, was Sie über die Suva-Checklisten wissen müssen und vor allem, wie Sie das nützliche Tool für Ihr Unternehmen nutzen können.

Suva-Checkliste – Wissen kurz und knapp:

Die Suva-Checkliste ist eine Prüfliste oder eine Form eines Fragenkatalogs von möglichst konkreten und einfachen Fragen zur Gefährdungsermittlung, die mit «Anforderung erfüllt/ nicht erfüllt/ teilweise erfüllt» zu beantworten sind. Die Grundlagen für eine Checkliste sind in den schweizerischen Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien formuliert und geben Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen sowie den Stand der Technik wieder. Die Berücksichtigung von technischen, organisatorischen und personenbezogenen Massnahmen (TOP) wurde vorgegeben und viele Suva-Checklisten sind auch nach diesem Prinzip strukturiert. Hinweise auf gängige Schutzmassnahmen und Lösungen (auch mit Hilfe von Bildern) sind wichtige Elemente.

Von der EKAS Richtlinie 6508 zur Suva-Checkliste

Ein spezielles Augenmerk der EKAS Richtlinie 6508 gilt den besonderen Gefährdungen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass ihre sichere Erkennung und Beurteilung spezielle Kenntnisse voraussetzen oder spezielle Untersuchungsmittel erfordern. Über dieses erforderliche Fachwissen zur Gewährleistung der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes verfügt ein Betrieb insbesondere wenn er:

  • Arbeitsärzte und andere Spezialisten der Arbeitssicherheit (ASA) selbst beschäftigt bzw. beauftragt und / oder

  • sich einer von der EKAS (Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit) genehmigten überbetrieblichen Lösung anschliesst und diese umsetzt und / oder

  • von ASA entwickelte Unterlagen, beispielsweise Checklisten, nutzt.

Überbetriebliche Lösung

In der Schweiz gibt es über 600’000 Betriebe mit insgesamt über 4 Millionen Beschäftigten. Dass nicht jeder Betrieb einen Arbeitsarzt und andere Spezialisten der Arbeitssicherheit (ASA) beiziehen oder beschäftigten kann, liegt auf der Hand. Damit sich auch diese Betriebe an die gesetzlichen Vorgaben halten können, wurden sogenannte überbetriebliche Lösungen (meistens Branchenlösungen) entwickelt. Dies ist möglich, da viele Betriebe einem Branchenverband angehören und von diesem Unterstützung durch Unterlagen und Schulungen erwarten, um die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen.

Die Rolle der Suva

Die Suva ist die grösste Schweizer Unfallversicherung und somit ein wichtiger Teil des Sozialversicherungssystem. Zusätzlich erhielt die Suva in der Prävention zwei wichtige Aufgabenfelder:

  1. Für die Aufsicht über die Umsetzung der Vorschriften im Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz – aber auch für die Beratung der Betriebe in Sicherheitsfragen – sind so genannte «Durchführungsorgane» zuständig. Die Suva ist als Durchführungsorgan für Betriebe mit hohen Risiken (siehe VUV Art. 49) zuständig. Dies sind rund 80'000 Betriebe mit knapp 1.5 Mio. Arbeitnehmenden (Full Time Equivalent oder Vollzeiterwerbstätige). Im Rahmen ihrer Kontrolltätigkeit führt die Suva über 20’000 Betriebsbesuche pro Jahr durch.

  2. Des Weiteren beaufsichtigt die Suva die Anwendung der Vorschriften über die Verhütung von Berufskrankheiten in allen Betrieben, die in der Schweiz Arbeitnehmende beschäftigen.

Durch die Kontrolltätigkeit kennt die Suva auch die Sorgen und Schwierigkeiten der Kleinbetriebe, wie z. B. die Anforderungen einer systematischen Gefährdungsermittlung. Als Antwort auf diese Problemstellung entstanden die Suva-Checklisten zur Gefahrenermittlung.

  • Um die Erstellung systematischer Gefährdungsermittlungen besonders für KMU zu vereinfachen, entstanden die Suva-Checklisten. | © Getty: shironosov

Begleitet durch eine interne Arbeitsgruppe wurden auf Basis der Unfallstatistik und unter Risikobetrachtungen die wichtigsten Tätigkeiten und Arbeitsmittel bestimmt, bei denen eine Checkliste zur Gefährdungsermittlung ein geeignetes Mittel ist. Die Experten der Suva für Sicherheit und Gesundheitsschutz erhielten daraufhin neben ihrer Kontrolltätigkeit auch den Auftrag, in den ihnen zugeteilten Branchen Checklisten zu erstellen. Damit konnte sichergestellt werden, dass die künftigen Nutzer einbezogen wurden und bedürfnisorientierte Hilfsmittel entstanden.

Vermehrt entstand das Bedürfnis, Gefährdungsermittlung und Massnahmenplanung auch für Branchen im Vollzugsbereich der Kantone mit geeigneten Checklisten zu erstellen. Eine Arbeitsgruppe mit Mitgliedern der EKAS-Geschäftsstelle und den verschiedenen Aufsichtsbehörden definierte einen Prozessablauf für die Erstellung von Checklisten aus dem Vollzugsbereich der Kantone und es entstanden acht EKAS-Checklisten nach dem Konzept der Suva-Checklisten. Anders aufgebaut ist lediglich die EKAS-Checkliste Detailhandel. Sie ist Bestandteil der EKAS-Broschüre «Sicherheit und Gesundheitsschutz im Detailhandel».

Wie viele Checklisten gibt es und für wen?

Aktuell gibt es 180 Suva-Checklisten. Diese decken primär die besonderen Gefährdungen im Kontrollbereich der Suva ab. Darunter sind auch Suva-Checklisten zur Prävention von Berufskrankheiten (z. B. Suva-Checkliste «Hautschutz bei der Arbeit»). Die meisten dieser Checklisten sind in den ersten fünf Jahren nach der Einführung der ASA-Richtlinie 6508 entstanden und werden regelmässig überprüft und dem Stand der Regeln angepasst. So führt z. B. die Überarbeitung der Bauarbeiterverordnung (BauAV) per 1.1.2022 zu umfangreichen Anpassungen der Checklisten und Publikationen.
Zu Beginn der Entwicklung der Checklisten hatte man die Vorgesetzten und Sicherheitsbeauftragten von KMU im Fokus. Also Betriebe, welche meistens nicht einen eigenen ASA beschäftigen können. Gerade mit den heutigen Möglichkeiten der Integration der Checklisten in Software-Tools eignen sich die Checklisten sowohl in kleinen als auch in grossen Betrieben für die Gefährdungsermittlung und Massnahmenplanung. In Betrieben mit weniger als zehn Mitarbeitenden lässt sich zudem anhand der ausgefüllten Checklisten der Nachweis erbringen, dass die ASA-Richtlinie umgesetzt wurde – und dies ohne zusätzlichen administrativen Aufwand.

Wie umfangreich sind die Suva-Checklisten?

Eine interne Vorgabe begrenzt die Suva-Checklisten auf vier Seiten, was für die Erstellung eine Herausforderung bedeutete und dazu führte, dass innerhalb der Checklisten eine Priorisierung der Gefährdungen stattfand. Vereinzelt entstanden auch Suva-Checklisten mit sechs Seiten (z. B. Suva-PSA Checkliste). Eine Suva-Checkliste deckt die wichtigsten Risiken ab, die im Zusammenhang mit dem behandelten Thema auftreten, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Wichtige Ergänzung: Lebenswichtige Regeln

Eine Analyse der Todesfälle von 1999 -2008 zeigte, bei welchen Tätigkeiten und Arbeitsmitteln sich immer wieder tödliche Berufsunfälle ereignen. Das führte zum Präventionsprogramm «Vision 250 Leben». Die Suva hatte sich zum Ziel gesetzt, innerhalb von zehn Jahren, zwischen 2010 und 2020, 250 Berufsunfälle mit Todesfolge und ebenso viele schwere Invaliditätsfälle zu verhindern. Im Zentrum der «Vision 250 Leben» standen die lebenswichtigen Regeln für Branchen und Tätigkeiten mit hohen Gefährdungen. Diese Regeln wurden gemeinsam mit den Branchenverbänden erarbeitet. Anschliessend entstanden daraus Flyer und Instruktionshilfen mit maximum je zehn lebenswichtigen Regeln. Durch eine konsequente Einhaltung dieser Regeln können über 60 Prozent der Todesfälle am Arbeitsplatz verhindert werden. Die lebenswichtigen Regeln sind eine Ergänzung zu den Suva-Checklisten.

Es gehört zum ersten Schritt einer Gefährdungsermittlung die lebenswichtigen Regeln im Betrieb zu bestimmen, zu instruieren und die Einhaltung zu gewährleisten. Wird eine lebenswichtige Regel verletzt, so heisst es: STOPP! Die Arbeiten werden eingestellt und die gefährliche Situation beseitigt. Erst dann wird weitergearbeitet.

  • Für Branchen und Tätigkeiten mit hohen Gefährdungen wurde das Präventionsprogramm «Vision 250 Leben». Die dabei entstandenen lebenswichtigen Regeln sind heute eine wichtige Ergänzung der Suva-Checklisten. | © iStock: AlenaPaulus

Wie können Sie die Suva-Checklisten nutzen?

Auswahl der passenden Suva-Checklisten

Um die für Ihren Betrieb richtigen Checklisten auszuwählen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Hier eine Auswahl:

Gefährdungsermittlung für Kleinbetriebe

Gefährdungsermittlung für Kleinbetriebe

  • Gefahren erkennen

    Die Gefahren im Unternehmen zu erkennen – dies ist die zentrale Aufgabe der Sicherheitsarbeit.

  • Massnahmen treffen

    Überprüfen Sie mit Hilfe der ausgewählten Checklisten, ob die Sicherheit gewährleistet ist. Legen Sie die notwendigen Massnahmen fest und realisieren Sie diese. Dokumentieren Sie die Gefährdungsermittlung und die Umsetzung der Massnahmen.

Die Suva Safety App

Die Digitalisierung bietet auch in der Prävention Chancen. Im Jahre 2006 wurde zur Unterstützung der Betriebe das Tool «Gefährdungsermittlung für KMU» auf einer CD herausgegeben. Hauptbestandteil waren alle Suva-Checklisten zur Gefahrenermittlung. Kurz darauf gab es auch eine Web-Anwendung, welche heute noch ihren Dienst leistet. Durch den Branchenexperten werden dem Betrieb branchenspezifisch (nach Suva Risikoklasse) die wichtigsten Suva-Checklisten und Publikationen mit Priorität 1 und Priorität 2 vorgeschlagen.

In der Suva Safety App lässt sich die passende Checkliste aus der Gesamtliste, über Titel-Stichwörter oder nach der Checklisten-Nummer suchen. Damit ist stets die passende Checkliste zur Hand. Sicherheitsprobleme können fotografiert und dokumentiert werden. Das Ausfüllen der Checklisten mit Statusangabe (Anforderung erfüllt, teilweise erfüllt, nicht erfüllt) und Kommentarfunktion ist ebenfalls möglich. Seit Oktober 2021 sind diese Funktionen auch in das Kundenportal der Suva integriert.

Freigabe für HSEQ-Software-Anbieter

Bereits nach der Veröffentlichung der ersten Suva-Checklisten wurde die Suva von den Branchenlösungen angefragt, ob sie das Layout für ihre branchenspezifischen Checklisten verwenden können. Die Vorlage wurde dann mit folgender Auflage zur Verfügung gestellt: Die Marke Suva muss durch den Herausgeber ersetzt werden und es muss für die Erarbeitung ein «ASA» dahinterstehen. Daraus entstanden viele sehr branchenspezifische Checklisten als Bestandteil der Branchenlösung. Diese wurden durch die Branchenlösungen mit weiteren Suva-Checklisten und Publikationen ergänzt, um die typischen Tätigkeiten in der Branche möglichst vollständig abzudecken. So ist z. B. die Branchenlösung «Nr. 12 Gebäude und Gerüstbaugewerbe» gut beraten, die Suva-Checkliste 67018 «Kleinarbeiten auf Dächern» und die «Suva-Gerüst Checkliste» 67038 «Fassadengerüste» in ihre Branchenlösung aufzunehmen.
Es ist im Interesse der Suva, dass ihre Publikationen (mit Quellenangaben) möglichst breit und vielseitig eingesetzt werden. Innerhalb der Schweiz wird die Printversion sogar kostenlos geliefert.

So war es der Suva ein Anliegen, den Zugang auch für Software-Anbieter zu ermöglichen. Dies wurde zuerst in einem Pilotbetrieb getestet.

hseq software für suva checklisten gefährdungsermittlung

Checklisten in HSEQ-Software

Quentic ist einer der führenden Lösungsanbieter von Software as a Service (SaaS) für HSEQ-und ESG-Management. Per Quentic App können Sie die Suva-Checklisten nutzen und anschliessend die abgeleiteten Massnahmen in der Quentic Plattform weiter bearbeiten und deren Umsetzung transparent nachverfolgen.

Mehr erfahren

Fazit

Die Suva-Checklisten sind ein effizientes Hilfsmittel, um Gefahren im Betrieb in den Griff zu bekommen. Sie sind eigens von erfahrenen Arbeitsärzten und anderen Spezialisten der Arbeitssicherheit (ASA) für die Anwendung in der Praxis entwickelt worden. Zentral bleibt dabei die richtige Auswahl. Wir empfehlen Ihnen ein systematisches Vorgehen, um die Sicherheit in Ihrem Betrieb langfristig zu gewährleisten. Dies zahlt sich auch für Kleinbetriebe aus. Individuelle Software-Lösungen können dabei helfen.

Wichtig: Do it. Was zählt, sind die Taten!

Checklisten bringen erst einen Mehrwert, wenn diese auch angewendet werden, d.h. Massnahmen formuliert und umgesetzt werden.

Dipl. Maschineningenieur Guido Rast

Guido Rast arbeitet nach zwanzig Jahren in verschiedenen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen nun seit ebenfalls 20 Jahren bei der Suva im Bereich der Prävention. Zuerst als Durchführungsorgan (Kontrollbehörde) in der Transport- und Logistikbranche. Anschliessend war er in der Prozess- und Führungsunterstützung tätig und konnte dabei die Prävention mitgestalten. Dazu gehörte auch die Entwicklung neuer Schwerpunkte und Hilfsmittel.

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