Arbeitsschutz

Glaubenssätze im Arbeitsschutz: Safety Mindset

Wie wir mit unseren Gedanken die Sicherheitskultur in Unternehmen maßgeblich beeinflussen

6 Minuten27.06.2022

von Stefan Ganzke

Wenn Ihr Unternehmen in puncto Unfallquote stagniert und seine Sicherheitskultur weiterentwickeln möchte, dann werden ergänzend zu den TOP-Schutzmaßnahmen weitere Strategien und Methoden notwendig. Besserer Arbeitsschutz braucht stärkeren Fokus auf die Menschen im Unternehmen und ihr Verhalten.

Wollen Sie Arbeitssicherheit positiv beeinflussen wollen? Dann sollten Sie grundlegendes Wissen der Verhaltensanalyse haben und darüber, wie man Verhalten von Menschen verändern kann. Um eine Transformation von unsicheren zu sicheren Verhaltensweisen zu erreichen und dadurch Arbeitsunfälle nachhaltig zu reduzieren, braucht es eine bestimmte DNA in der Sicherheitskultur Ihres Unternehmens. Wir haben dafür den Begriff „Sicherheitskultur DNA“ eingeführt. Diese beinhaltet drei essenzielle DNA-Stränge:

  1. Safety Mindset
  2. Kommunikation
  3. Behavior Based Safety

 

In diesem Artikel geht es um den ersten DNA-Strang „Safety Mindset“,  die Relevanz von Glaubenssätzen für den Arbeitsschutz. Sie werden erfahren, welche Rolle Glaubenssätze bei der Entwicklung einer Sicherheitskultur im Sinne der Bradley-Kurve spielen, wie sie entstehen und wie Sie Einfluss nehmen und für mehr fördernde Glaubenssätze im Sinne der Arbeitssicherheit sorgen können.

6 Minuten27.06.2022

von Stefan Ganzke

Seit 2012 befinden sich die meldepflichtigen Arbeitsunfälle in Deutschland auf einem Plateau. Seit gut 10 Jahren gibt es keine signifikante Verbesserung, lediglich eine kurze Unterbrechung durch das erste Jahr der Corona-Pandemie. Ganz oben auf der Unfallstatistik stehen z. B. Stolper-, Rutsch- und Sturzunfälle (SRS). Allein im Jahr 2019 ereigneten sich in Deutschland pro Tag 460 SRS Unfälle. Wie lässt sich das erklären? Die bisherigen technischen, organisatorischen und personenbezogenen (TOP) Schutzmaßnahmen scheinen ab einem bestimmten Punkt an ihre Grenzen zu stoßen und können die Unfallquote nicht weiter senken. 

Wenn  auch Ihr Unternehmen in puncto Unfallquote stagniert, also ein Plateau an meldepflichtigen Arbeitsunfällen erreicht hat und seine Sicherheitskultur weiterentwickeln möchte, dann werden ergänzend zu den TOP-Schutzmaßnahmen weitere Strategien und Methoden notwendig. Besserer Arbeitsschutz braucht stärkeren Fokus auf die Menschen im Unternehmen und ihr Verhalten.

Wollen Sie Arbeitssicherheit positiv beeinflussen? Dann sollten Sie grundlegendes Wissen der Verhaltensanalyse haben und darüber, wie man Verhalten von Menschen verändern kann. Um eine Transformation von unsicheren zu sicheren Verhaltensweisen zu erreichen und dadurch Arbeitsunfälle nachhaltig zu reduzieren, braucht es eine bestimmte DNA in der Sicherheitskultur Ihres Unternehmens. Wir haben dafür den Begriff „Sicherheitskultur DNA“ eingeführt. Diese beinhaltet drei essenzielle DNA-Stränge:

  1. Safety Mindset
  2. Kommunikation
  3. Behavior Based Safety

 

In diesem Artikel geht es um den ersten DNA-Strang „Safety Mindset“,  die Relevanz von Glaubenssätzen für den Arbeitsschutz. Sie werden erfahren, welche Rolle Glaubenssätze bei der Entwicklung einer Sicherheitskultur im Sinne der Bradley-Kurve spielen, wie sie entstehen und wie Sie Einfluss nehmen und für mehr fördernde Glaubenssätze im Sinne der Arbeitssicherheit sorgen können.

Safety Mindset

Die Einstellung bzw. die Glaubenssätze von Führungskräften und Mitarbeitenden zum Arbeitsschutz beeinflusst die betriebliche Sicherheitskultur maßgeblich. Glaubenssätze von Menschen werden im Unterbewusstsein abgespeichert. Grundsätzlich sind über 90 Prozent der Gedanken und Handlungen der Menschen unterbewusst. Ein direkter Zusammenhang zwischen den Glaubenssätzen der Menschen im Unternehmen und der Anzahl der betrieblichen Arbeitsunfälle lässt sich sehr gut aus der von DuPont™ entwickelten Bradley-Kurve ablesen. Seit dem Jahr 1995 wurden diese Erkenntnisse international durch über 2 Millionen Befragungen validiert.

Die Bradley-Kurve

Denken Führungskräfte und Mitarbeitende im Unternehmen zum Beispiel, „Unfälle sind normal” und „Da kann man nichts machen“, dann erhält der Arbeitsschutz in deren Wahrnehmung keinen relevanten Stellenwert. Die Motivation für sichere Arbeitsweisen muss an dieser Stelle von außen kommen. Teilen Führungskräfte und Mitarbeitende jedoch zum Beispiel den Glaubenssatz, “Null Arbeitsunfälle sind das Ziel”, dann besitzt Arbeitsschutz einen hohen Stellenwert. Es liegt eine innere Motivation vor.

Hemmende und fördernde Glaubenssätze

Grundlegend kann zwischen hemmenden und fördernden Glaubenssätzen für den Arbeitsschutz unterschieden werden. Hemmende Glaubenssätze können zum Beispiel “Ich möchte nicht erwischt werden” oder “Niemand will/braucht Arbeitsschutz” sein. Hingegen sind fördernde Glaubenssätze “Null Arbeitsunfälle sind unsere Erwartung” oder “Gemeinsam können wir jeden Unfall verhindern”. 

Es gibt vier Stufen der Sicherheitskultur im Sinne der Bradley-Kurve. Die ersten beiden Entwicklungsstufen sind durch externe Motivation der Mitarbeitenden geprägt. Auf der ersten Stufe glauben diese, dass „Arbeitsunfälle halt passieren“. Auf der zweiten Stufe besteht der Glaubenssatz „Null-Unfälle sind unrealistisch“ und ”Ich möchte nur nicht beim unsicheren Arbeiten erwischt werden“. Auf diesen beiden Entwicklungsstufen ereignen sich die meisten Arbeitsunfälle. Die Mitarbeitenden fühlen sich nicht für Arbeitssicherheit verantwortlich, sondern sehen stets andere in der Verantwortung. In der dritten und vierten Entwicklungsstufe besitzen sie hingegen eine innere Motivation. Dieser Zustand spiegelt sich entsprechend in den Glaubenssätzen wider. Auf Stufe 3 gehen Mitarbeitende und Führungskräfte davon aus, dass Null-Unfälle möglich sind und auf der vierten Stufe gelten Null-Unfälle bereits als Ziel. Unternehmen, deren Sicherheitskultur sich auf den letzten beiden Entwicklungsstufen befindet, zeichnen sich durch wenige bis keine Arbeitsunfälle und einer sehr hohen Anzahl an sicheren Verhaltensweisen der Mitarbeitenden aus.

Entstehung und Transformation

Wenn Glaubenssätze eine so essenzielle Rolle im Arbeitsschutz spielen, ist die alles entscheidende Frage: Wie entstehen sie bzw. wie können sie transformiert werden?
Die Glaubenssätze Ihrer Mitarbeitenden entstehen im Wesentlichen durch deren kulturelles, familiäres und soziales Umfeld sowie durch die eigenen Erfahrungen, die sie im Arbeitsschutz gesammelt haben. Wie stark der Einfluss von Erfahrungen sein kann, zeigt das folgende Beispiel. 

Der Produktionsmitarbeiter Erwin bekommt von seinem Schichtführer die Aufgabe, einen Gefahrstoff händisch aus einem Intermediate Bulk Container (IBC) abzupumpen. Am IBC fällt Erwin auf, dass er seine Schutzbrille vergessen hat. Er überlegt noch kurz, ob er zurück zu seinem Schrank geht, um die Brille zu holen, entscheidet sich dann aber, den Gefahrstoff “mal eben schnell” ohne Schutzbrille umzupumpen. Erwin passiert zum Glück nichts. Die Mitarbeitenden um Erwin herum sehen, dass er ohne Schutzbrille arbeitet, sagen jedoch nichts. Diese beispielhafte Situation führt zu zwei Erfahrungen, die wiederum zu hemmenden Glaubenssätzen führen:

  • „Auch ohne Schutzbrille geht nichts ins Auge.“ 
  • „Unsicheres Verhalten wird akzeptiert.“ 


Die Entstehung und Transformation von Glaubenssätzen lässt sich anhand des sogenannten Safety Loops erklären. Zu Beginn steht immer ein Gedanke bzw. Impuls des Menschen. In unserem Beispiel denkt Erwin darüber nach, die Schutzbrille zu holen oder mal eben schnell abzufüllen, ohne diese zu tragen. Im zweiten Schritt wird eine körperliche Reaktion ausgelöst. In diesem Fall das Umfüllen ohne Schutzbrille. Als Erfahrung stellt Erwin fest, dass er sich weder verletzt noch jemand ihn auf sein Fehlverhalten angesprochen hat. Hierdurch entwickelt sich der Glaubenssatz, dass das Arbeiten ohne Schutzbrille okay ist.
 

Wenn Sie das Entstehen von hemmenden Glaubenssätzen verhindern bzw. eine Transformation zu fördernden Glaubenssätzen unterstützen wollen, dann ist die Erfahrung Ihr größter Hebel. Für eine solche Erfahrung muss sich Erwin nicht einmal verletzen. Es reicht bereits aus, wenn Kolleginnen und Kollegen ihn auf sein Fehlverhalten hinweisen. Alternativ kann es auch eine Führungskraft sein, die das Verhalten feststellt und ihm genauer erklärt, warum sein Verhalten zum einen gefährlich für Erwin selbst ist und zum anderen es vom Unternehmen nicht gewünscht wird. Wichtig ist hierbei, dass bei einem solchen Feedback auf das gewünschte sichere Verhalten eingegangen wird und dieses im Anschluss immer wieder positiv verstärkt wird. Das kann ein Schulterklopfen, ein symbolisches Daumen-hoch sein oder auch mal eine Runde Getränke auf die Führungskraft.

Zusammenfassung

Wenn Sie eine Stagnation an Arbeitsunfällen überwinden wollen, dann braucht es neben den TOP-Schutzmaßnahmen einen klaren Fokus auf den Menschen. Das Safety Mindset spielt hierbei eine wesentliche Rolle. Die Glaubenssätze von Menschen sind für den Arbeitsschutz entscheidender, als der ein oder andere glaubt. Anhand der Bradley-Kurve können Sie den aktuellen Status quo der Sicherheitskultur sowie die dazugehörigen gängigen Glaubenssätze besser verstehen und einordnen. Um positive Glaubenssätze zu begünstigen und eine Transformation zu ermöglichen, sollten Sie den Safety-Loop von Gedanke-Reaktion-Erfahrung-Glaubenssatz verstehen und die Hebelkraft der Erfahrung nutzen. Durch neue Erfahrungen entstehen neue Glaubenssätze und die Sicherheitskultur Ihres Unternehmens erreicht die nächste Stufe. 

Stefan Ganzke Safety Mindset Experte Wandelwerker
Über den Autor

Stefan Ganzke ist Experte für Sicherheitskultur & Kommunikation im Arbeitsschutz. Als Geschäftsführender Gesellschafter der WandelWerker Consulting GmbH hilft er vor allem Sicherheitsingenieuren und Fachkräften für Arbeitssicherheit dabei, Arbeitsunfälle nachhaltig zu reduzieren. 

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