Arbeitsschutz

Effektives Lernen:

Neurodidaktik im Arbeitsschutz

Wie wir Sicherheitstrainings und Unterweisungen unter Beachtung psychologischer Grundlagen besser und wirksamer gestalten können. 

5 Minuten05.12.2025

Arbeitsschutz braucht Regeln, und Regeln müssen vermittelt werden. Diese simple Prämisse macht Sicherheitsunterweisungen in vielen Unternehmen zur Pflichtübung – aber selten zu einem beliebten Thema.

Oft schenken Mitarbeitende Unterweisungen nicht genug Aufmerksamkeit, vergessen die Inhalte schnell wieder oder speichern sie erst gar nicht ab. Wichtige und gut gemeinte Regeln werden deswegen falsch oder überhaupt nicht angewendet.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Unterweisungen sind häufig zu lang, enthalten zu viele abstrakte Informationen, oder Teilnehmende und Vortragende empfinden sie als lästige Routine, die es bloß abzuhaken gilt.

Sebastian Wagner ist Head of Corporate EHS bei Enpal B.V. Er kritisiert: „Fast jedes Seminar zur Arbeitssicherheit beginnt gleich. Viele Leute schalten schon ab, bevor es überhaupt losgeht.“ Für ihn ist klar: Althergebrachte Lernformate sorgen dafür, dass Menschen sich nicht konzentrieren und Inhalte nicht im Gedächtnis bleiben.

Außerdem ist es nicht selten Praxis, dass Mitarbeitende nur einmal im Jahr geballt anhand einer umfangreichen Präsentation geschult werden. Dies ist weder effektiv noch zeitgemäß.

Wagner selbst hat andere, auch ungewöhnliche Wege für Schulungen und Unterweisungen beschritten und damit hervorragende Erfahrungen gesammelt. Methodische Anhaltspunkte liefert die Neurodidaktik, die Erkenntnisse aus der Hirnforschung und Pädagogik verbindet.

Das Ziel dieses praxisorientierten Ansatzes ist es, Lernmethoden sowie Umgebungsfaktoren zu identifizieren, die die Funktionsweise des menschlichen Gehirns optimal unterstützen und Lernvorgänge begünstigen. Wer diese Grundsätze befolgt, kann Lernformate so gestalten, dass deren Inhalte – z. B. Verhaltenshinweise zur Arbeitssicherheit – besser hängen bleiben und der Lerneffekt steigt. 

Wie das Gehirn lernt – und warum klassische Unterweisungen scheitern

Das menschliche Gehirn hat Enormes zu leisten, verbraucht dabei viel Energie und ist deswegen darauf ausgelegt, möglichst effizient zu arbeiten. Zudem ist die menschliche Aufmerksamkeit begrenzt, sodass aus einer Vielzahl an ständig vorhandenen Umweltreizen Dinge selektiert werden müssen. Je nach Relevanz werden manche Informationen aufgenommen und andere ausgeblendet.

Sieht sich ein Mensch beispielsweise mit umfangreichen und komplizierten Regeldarstellungen konfrontiert, versucht das Gehirn, Muster zu erkennen und Bekanntes möglichst schnell in bereits bestehende Wissensstrukturen einzusortieren. Nicht alle Informationen müssen dann mehr aktiv und bewusst verarbeitet werden. 

„Framing“ beschreibt, dass unser Gehirn bestimmte Aspekte einer Information auswählt, besonders hervorhebt und zum Deutungsrahmen für die Interpretation nachfolgender Informationen macht. „Priming“ drückt aus, dass ein Reiz (z. B. bestimmte Wörter, Bilder oder Geräusche) über assoziative Gedächtnisinhalte die Reaktion auf nachfolgende Reize unterschwellig, also auch unbewusst, beeinflussen.

Wenn Lernformate also immer gleich strukturiert sind und Inhalte vorhersehbar erscheinen, wenn die Lernumgebung oder Präsentationsweise von vornherein die Einstellung „trockenes Thema, uninteressant, irrelevant“ auslöst, dann investiert das Gehirn auch weniger Aufwand in die Informationsaufnahme und -verarbeitung.

Eine weitere Rolle für Lernverhalten und -leistung spielen Emotionen: Wenn Gefühle wie Angst oder Unsicherheit im Spiel sind – etwa durch Zeit- und Leistungsdruck oder weil eine Blamage vor anderen Teilnehmenden durch eine falsche Antwort befürchtet wird – dann fällt es Menschen schwerer, sich auf neue Informationen einzulassen.

Zweifellos sind diese Mechanismen eine Herausforderung für erfolgreiche Schulungen und Trainings, gerade im Arbeitsschutz. Im Umkehrschluss bieten sie allerdings auch eine Chance: Wer Unterweisungen so gestaltet, dass sie neu und überraschend daherkommen, dass sie Menschen Spaß statt Mühe machen, der profitiert von mehr Aufmerksamkeit und einer deutlich besseren Lernleistung.

Sebastian Wagner appelliert deswegen an HSE-Kräfte, die Erkenntnisse aus der Neurodidaktik in ihrer Arbeit anzuwenden: „Wir können zwar nicht beeinflussen, mit wem wir sprechen – aber durchaus, wie wir mit den Menschen umgehen und den Bereich Arbeitssicherheit vermitteln.“

Rezepte für bessere Unterweisungen

Unterweisungen sollten sich immer an den Mitarbeitenden, ihren Aufgaben, und natürlich der eigenen Unternehmenskultur orientieren. Es gibt zwar kein Patentrezept für perfekte Sicherheitsunterweisungen, aber sehr wohl einige wertvolle Anhaltspunkte.

  • Kurze Lernpakete: Statt einmal im Jahr eine lange und theoretische Sicherheitsunterweisung einzuplanen, sollten entsprechende Themen häufiger, kürzer und nach Möglichkeit anlassbezogen vermittelt werden. Beispielsweise im konkreten Arbeitskontext, bei der Einführung neuer Prozesse und Arbeitsgeräte oder beim Auftreten und Beheben von Sicherheitsmängeln.
  • Passender Zuschnitt: Nicht alle Regeln sind für alle gleichermaßen relevant, und manchmal sind reduzierte, dafür übersichtlichere Regelwerke die bessere Lösung. Der Sicherheitsberater Daniel Clemens von ARQUS rät zum Beispiel dazu, Betriebsanweisungen für Gefahrstoffe mit ähnlichen Eigenschaften zu clustern: Sammelstoffanweisungen sparen administrative Arbeit bei Aktualisierungen und reduzieren Komplexität auch für Personen, die Gefahrstoffe verwenden und die Regeln befolgen müssen. Ebenso wichtig ist es, dass der betroffene Personenkreis direkten und einfachen Zugang zu den nötigen Informationen erhält.
  • Spannung und Abwechslung: Startet ein Vortrag auf überraschende oder gar provokante Weise, ist die Neugier und Aufmerksamkeit des Publikums gewiss. Ungewohnte Erfahrungen bleiben außerdem länger im Kopf. Sebastian Wagner rät dazu, auch in Arbeitssicherheitsschulungen bekanntes Terrain mutiger zu verlassen: „Einmal habe ich meinen Sohn mit in eine Unterweisung genommen. Die Übung für die Teilnehmenden war, eine Sicherheitsregel kindgerecht zu erklären. Selbst routinierte Führungskräfte empfanden dies als eine völlig neue Herausforderung.“ Gleichzeitig wurden durch den Perspektivwechsel bekannte Sachverhalte neu reflektiert.
  • Interaktive Elemente: Finden Lernprozesse in Gruppen statt, bietet es sich an, die beteiligten Personen miteinander interagieren zu lassen. So wird Wissen nicht nur passiv aufgenommen, sondern in Übungen wiederholt und durch aktives Erleben antrainiert. Ist eine Lernsituation frontal ausgerichtet, sollte das Format zwischenzeitlich dennoch durch kurze Feedback-Runden, Abstimmungen oder auflockernde Elemente unterbrochen werden. Schon ein paar Quizfragen, ein gemeinsames Lachen oder eine einfache Körperbetätigung können dabei helfen, müde Geister wieder zu reaktivieren.
  • Mit Spaß an der Sache: Positive Emotionen fördern das Lernen. Freude ist eine besonders große Antriebskraft, erinnern Sie sich an Kinder, die beim Spielen lernen. Auch Erwachsene werden gern unterhalten und lassen sich durch „Gamification“ und „Edutainment“ fesseln. Sebastian Wagner hat auch hierzu ein Beispiel parat: Mit seinem Team hat er eigens ein Brettspiel entwickelt, das Sicherheitsfachkräften und Monteuren das Erstellen von Gefährdungsbeurteilungen nahebringt. Beim Würfeln und Kartenziehen geht es nicht nur um Punkte, sondern auch um Gefahren, Risikowerte und Schutzmaßnahmen.
  • Situatives Lernen im Alltag: Mit digitalen Tools lassen sich Lerneinheiten flexibel in den Arbeitsalltag einbetten, genau wo und wann sie benötigt werden. Beispielsweise können Mitarbeitende an einem Unterweisungsterminal – meist genügt bereits ein einfaches Tablet – spontan ihre Anweisungen abrufen, und zwar zu dem Zeitpunkt, an dem sie die Informationen individuell benötigen und ihre Lernbereitschaft hoch ist. Alternativ können Mitarbeitende ein Schulungsdokument oder Instruktionsvideo direkt vor Beginn einer Tätigkeit per Smartphone abrufen, indem sie einen QR-Code scannen, der direkt am Gerät oder Arbeitsplatz angebracht ist. 

Zeit, psychologische Hebel zu nutzen

Neurodidaktische Erkenntnisse können dazu beitragen, Unterweisungen und Sicherheitsregeln deutlich zweckmäßiger, angenehmer und effektiver zu vermitteln. Das stärkt nicht nur die Erinnerung, den Spaß bei der Arbeit und damit die Motivation – sondern auch die Sicherheitskultur im Unternehmen.

Die hier vorgestellten Ansätze basieren auf didaktischen Methoden, die in anderen Lebensbereichen schon Anwendung finden, aber oft noch nicht ihren Weg in den Arbeitsschutz gefunden haben.

Höchste Zeit also, hier einen Schritt nach vorn zu machen und Lerneinheiten zeitgemäßer und kreativer zu gestalten – im Sinne der Sicherheit, Mitwirkung und Wertschätzung aller Mitarbeitenden.


Die cloudbasierten Lösungen von Quentic unterstützen das HSE- und Nachhaltigkeitsmanagement umfassend. Einzelne, fachbezogene Softwaremodule lassen sich ganz nach Wunsch kombinieren. Organisieren Sie z. B. Qualifizierungen und Unterweisungen für alle Standorte und Teams zentral. Erstellen und pflegen Sie Gefährdungsbeurteilungen und Betriebsanweisungen mit wenig Aufwand. Die fertigen Inhalte stellen Sie verschiedenen Personen zielgerichtet online bereit, d. h. bezogen auf ihre Tätigkeiten und Zuständigkeiten.  

 

Der Name „QR-Code“ ist ein eingetragenes Warenzeichen von Denso Wave Incorporated. 

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